Karlheinz Paskuda

Göttingen: Soziales Zentrum jetzt!

Artikel in den Göttinger Blättern, S. 12, Januar 2023:

Historische Möglichkeit: SOZIALES ZENTRUM jetzt!“

Die Initiative für ein Soziales Zentrum in der ehemaligen JVA hatte einige Monate ein Wahrnehmungsproblem: Nach der skandalösen Entscheidung des Göttinger Verwaltungsausschusses, entgegen der Empfehlung des Bauausschusses nur noch mit einem Investor aus Braunschweig zu verhandeln, dachten viele Göttinger*innen, die Entscheidung sei gefallen. Im Verwaltungsausschuss hatte die bürgerliche Haushaltsmehrheit aus SPD, CDU und FDP ihre Mehrheit gegen das Soziale Zentrum genutzt.
Schwierig war es dann bei Infoständen etc,, darauf hinzuweisen, dass es „nur“ um Verhandlungen ginge, deren Ausgang unsicher sei. Wie unsicher das Ganze war, zeigte dann der plötzliche Rückzug des einzigen Verhandlungspartners der Verwaltung vor wenigen Wochen: OB Broistedt steht nun wieder mit leeren Händen da, das alte denkmalgeschützte Gebäude der JVA in guter städtischer Lage steht nunmehr seit 14 Jahren leer und verkommt. Ein inakzeptabler Zustand.

„Eine historische Möglichkeit“, meint Almut Schilling, eine der Akteur*innen und Mitglied des Gesundheits-Kollektivs. Die Pläne für ein Soziales Zentrum stehen, die Finanzierung scheint gesichert, zwei Drittel der Sanierungskosten zahlen Land und Bund. Selbst bei 9 Millionen Euro Kosten (bisher geplant: Gesamtkosten 5,6 Mio) kämen so auf die Stadt nur 3 Millionen Euro zu und der Boden und das Gebäude bliebe im Besitz der Stadt!

Erinnern wir uns: Die Stadt war offenbar bereit, das Gebäude für den berühmten „Appel und ein Ei“, in dem Fall für ca 60.000 Euro an den Braunschweiger Investor zu verscherbeln. Was da entstehen sollte, war so mit schicken aber dennoch nebulösen Worten gepriesen: „Space working“ oder ähnliches versprachen Fortschritt und Aufbruch. Auch einige Wohnungen waren angedacht; die hätten wir auch gerne im Sozialen Zentrum. Doch die Initiator*innen des Sozialen Zentrums haben Umbaupläne zu Wohnungen als zu teuer und unrealistisch verworfen. Dem Investor aus Braunschweig wäre es vermutlich ähnlich gegangen: nur hätte der dann dennoch das Gelände längst gekauft. Oder er hätte Wohnungen für 20 Euro plus (Kaltmiete) angeboten.

Einziger erkennbarer „Vorteil“ eines Verkaufs an einen Investor: keine Arbeit für die Stadtverwaltung, keine Belastung für den neuen Baudezernenten. Ist es das wert? Nein. Es kann nicht Aufgabe einer Bauverwaltung sein, Arbeit an private Investor*innen abzugeben; Aufgabe muss es sein, Strukturen zu schaffen und Lösungen zu erarbeiten, die Göttingen lebenswerter machen; beim Sozialen Zentrum kann unser neuer eloquenter Dezernent da nun sinnvolle Initiativen ergreifen.

Der Wunsch der Göttinger*innen nach einem Sozialen Zentrum ist jedenfalls groß: Unterschriftensammlungen machen Spaß aufgrund der großen positiven Resonanz. Und insbesondere Menschen in dem Viertel rund um das SZ wünschen sich das!

Göttingen hat eine lange Geschichte von Auseinandersetzungen um Sanierungen, Verkauf und Abriss in der Innenstadt. So kämpften Aktivist*innen in den 70er-Jahren vergeblich um den Erhalt des Reitstallviertels. „Rettet das Reitstallviertel“ war der Titel von Demos und Aktionen 1975. Heute bedauert Göttingen angesichts der damals geschaffenen Realitäten, dass die Aktivist*innen diesen Kampf verloren haben. Und es gab Pläne, die noch weiter gingen: Zur Diskussion stand das ganze Viertel um die Johanniskirche. Was wäre das für ein riesiger Verlust gewesen, wenn die damaligen „Modernisierer*innen“ sich dort auch durchgesetzt hätten. Heute finden wir ein großes Transparent schräg gegenüber vom alten Audimax: „Rettet das Weender Tor“. Ein „Déjà vu“ - Erlebnis für alte Aktivist*innen.

Und Göttingen braucht keine Gentrifizierungsprojekte, wie es letztlich das Projekt der Braunschweiger Investor*innen geworden wäre. Göttingen fehlen 3500 preiswerte Wohnungen. Hier scheint in der Verwaltung noch nicht mal das Bewusstsein eines Missstandes angekommen. Wir müssen dieses Problem in Zeiten des Klimawandels lösen, ohne neue Zementburgen am Stadtrand zu bauen. Für das Viertel um die alte JVA bedeutet das: Behutsame Sanierungen, Einbindung des Sozialen Zentrums in den Stadtteil. Die Bauverwaltung hat da extrem hohen Handlungsbedarf: die Häuser nicht vergammeln und dann „notgedrungen“ abreissen zu lassen, sondern dort möglichst warmmietenneutral zu sanieren. Dafür zu sorgen, dass die Menschen in ihrem Viertel weiterhin wohnen und leben können.
In anderen Vierteln    verdichten oder aufzustocken. Dazu braucht es auch städtische Mittel: ein soziales Wohnungsbau-Programm. Noch läuft es verkehrt: Die städtische Wohnungsbau-Gesellschaft SWB zahlt Millionenbeträge in den städtischen Haushalt. Und sowohl die SWB als auch die großen Genossenschaften schaffen kaum neuen preiswerten Wohnraum.
2023/24 nach Einführung der Neuen Gemeinnützigkeit könnte Göttingen eine neue gemeinnützige Wohnungsbau-Gesellschaft gründen, mit der neuen Landeswohnungsbau-Gesellschaft zusammenarbeiten und neuen preiswerten und gleichzeitig ökologischen Wohnraum schaffen. Nur muss das hier jemand angehen: Einer Koalition aus SPD, CDU und FDP wird man hier wenig Hoffnung entgegen bringen können. Es sei, wir machen da ganz viel Druck!
 

Karlheinz Paskuda